»I wanna go over the Berlin Wall«, sang Johnny Rotten in »Holidays In The Sun«, sowie »I don’t understand this bit at all«. Als dies am 14.10.1977 auf Single erschien, war Punk jedoch längst durch den Iron Curtain gesickert und es sollte nur noch 4 Tage dauern, bis die slowenischen Pankriti mit ihrer ersten Show den Durchbruch an die sozialistische Öffentlichkeit markierten – wenn auch die des Sonderfalls Jugoslawien. Aber das Jahr wartet auch mit der Gründung der Konzept-Kunst-Punkband Spions in Ungarn sowie in Polen mit der Walek Dzedzej Pank Bend und KSU auf und insofern zelebrieren wir 40 Jahre Ostblock-Punk. Falls es überhaupt eines Jubiläums bedarf, abseits der Fütterung der Aufmerksamkeitsökonomie.
Mit einer von der naTo in der Galerie KUB ausgerichteten Ausstellung mit dem leitmotivischen Titel »Warschauer Punk Pakt« lenkten die Publikationsplattform Zonic im Mai 2017 den Blick von der DDR-Szene aus auf den größeren Ex-Bruderländer-Kontext, wobei hier Polen, ČSSR und Ungarn im Vordergrund standen, um Gemeinsamkeiten wie Unterschiede im (sub-)kulturpolitisch oft gar nicht so monolithischen Block (und im Abgleich mit dem blockfreien Jugoslawien) zu fokussieren.
Gekoppelt war »Warschauer Punk Pakt« zudem mit der Ausstellung »Wutanfall«, mit der die Leipziger Fotografin Christiane Eisler die Veröffentlichung des gleichnamigen Buchs begeht, das extrem erfolgreich per Crowdfunding finanziert wurde, mit quasi-sozialistischer Übererfüllung. Sie begann 1981 noch als Studentin das Umfeld der ersten Leipziger Punkband Wutanfall zu fotografieren, woraus eine einzigartige Langzeit-Dokumentation entstand. Niemand war so nah dran wie sie, de facto embedded im frühen DDR-Punk.
Das Rahmenprogramm dazu bott u.a. einen Flashback-Trip mit dem Rammstein-Keyboarder Flake entlang der nicht zuletzt zum legendären Jarocin-Festival führenden Feeling B-Wege gen Osten sowie Präsentationen wie die von Tim Mohrs Buch »Stirb nicht im Warteraum der Zukunft«, zu Frauen im Ostblock-Punk, dem Kunst vs. Punk-Verhältnis oder der Rolle von Ungarn als Bezugsquelle und Erfahrungsraum mit Bernd Stracke (Sänger von Wutanfall und L’Attentat), Tamás Rupaszov (von Trottel) sowie dem Film »East Punk Memories«.
Zur Finissage gab es zudem »Warsaw Punk Pact« als Mini-Festival: mit Kretens, einer ersten Punkbands Budapests, der Hardcore-Legende Moskwa aus Łódź, der Spät-1980er-Gründung Davová Psychóza aus Bratislava sowie Küchenspione und Namenlos für die Ex-DDR, wobei letztere, eine massiv verfolgte Berliner Band der ersten Generation, sogar mit der ursprünglichen Sängerin Jana Schloßer antraten.
Nach dem erfolgreichen Programm im Mai dieses Jahres, erlebte das Projekt »Warschauer Punk Pakt« zum Ende des Jahres einen besonderen Abschluss. Denn auch die schönste historische Subkultur-Aufbereitung musste irgendwann ihr (temporäres) Ende finden. Am besten in einem Produkt, das als Inspiration auf den weiteren Weg der Erkundung mitgegeben werden kann. So geschah es auch im Fall des »Warschauer Punk Pakts«, auf gleich zweifache Weise. Mit einem Grande Finale am 9. Dezember, das live im UT Connewitz ein paar der wichtigsten Protagonisten des gesamten Ostpunk-Komplex mit Rückblickshows präsentiert, wurde nämlich sowohl die Veröffentlichung des Buchs zur Sache als auch eines entsprechenden Tonträgers gefeiert.
Das Buch »Warschauer Punk Pakt. Punk im Ostblock 1977 – 1989« ist als ein Zonic-Spezial beim Ventil Verlag erschienen. Mit Beiträgen aus allen Ländern und detaillierten Disko- und Filmographien lenkt es den Blick von der DDR-Szene aus auf den Ex-Bruderländer-Kontext, um Gemeinsamkeiten wie Unterschiede im (sub-)kulturpolitisch gar nicht so monolithischen Warschauer Pakt-Block (und im Abgleich mit dem blockfreien Jugoslawien) zu fokussieren. Sowie die raren Momente gegenseitiger Wahrnehmung oder gar grenzüberschreitende Kooperationen, wie die zwischen der oppositionellen Berliner AlösA-Gruppe und dem Fanzine wie Kassettenlabel QQRYQ aus Warschau, die den Warschauer Punkt Pakt von der Vorstellung als Potential in die praktizierte Wirklichkeit bringt. Oder den Querbezügen zwischen den (später Rammstein-Mitglieder liefernden) Berliner Bands Die Firma und Feeling B mit den Warschauer Szene-Größen Armia und Izrael, die als Tribut-Bezeugung in Cover-Versionen mündeten. Die werden nun auf einer zeitgleich als 10“-Vinyl erschienenen Warsaw Punk Pact Vol.1-EP beim Leipziger Major Label veröffentlicht, gekoppelt mit den Original-Songs und, der Titel deutet es an, als Beginn einer Reihe. Denn: Ostpunk´s not dead!
Bereits im November wurde der Countdown zum Finale gestartet: Jaroslav Rudiš, mit Auszügen seines Romans »Vom Ende des Punks in Helsinki«, und Claus Löser, mit einem Abend rund um den Underground-Film der Ostpunk-Szene, ließen die Zeit des Punk Pakts in der naTo wieder lebendig werden.
»Warschauer Punk Pakt« wird präsentiert vom Ox-Fanzine.
Das Projekt wird gefördert von:
Mehr Informationen gibt es auf der Projekt-Homepage:
www.warschauer-punkpakt.de